Am 13. Juni 2018 gegen 22:30 war die Innenbeleuchtung des Brecht-Hauses bereits ausgeschaltet. Auch Sabine Kebir, die Moderatorin des gerade beendeten Gesprächs mit Jost Hermand über dessen Buch Die aufhaltsame Wirkungslosigkeit eines Klassikers. Brecht Studien, hatte sich bereits mit Dank und Komplimenten für die lebhafte Veranstaltung verabschiedet. Doch auf dem dunklen Trottoir des Literaturforums, Chausseestraße 125, scharten sich noch immer an die zehn Menschen um Jost Hermand, um die Unterhaltung und den Meinungsaustausch fortzusetzen. Da beugte sich ein jüngerer Mann mit einem riesigen Rucksack zu dem damals 88jährigen, flüsterte ihm etwas zu, woraufhin Jost bejahend nickte. Nun kamen aus dem mitgebrachten Rucksack – eines nach dem anderen – an die fünfundzwanzig von Josts Publikationen zum Vorschein: zu Heine, zu Heiner Müller, zur Weimarer Republik, zur Ökologie, zu Beethoven, zum „Deutschen Nationalismus“, zu „Judentum und deutscher Kultur“, zu Arnold Zweig, zur „Kultur in finsteren Zeiten“, zur „Grünen Klassik“ und zum „lieben Geld“. Spontan bot einer der Umstehenden seinen Rücken als Schreibpult an, damit Jost diese Bücher leichter signieren konnte. Dass sich unter den mitgeschleppten Exemplaren auch der 1959 im Akademie-Verlag erschienene Naturalismus-Band befand, erfreute Jost besonders, denn mit diesem Buch hatte seine Arbeit als streitbarer Germanist, Kunst- und Kulturwissenschaftler begonnen.
Die Titel seiner erst vor wenigen Monaten veröffentlichten Bücher sind Oasen der Utopie. Schriften deutscher Vordenker und Vordenkerinnen und „Völker hört die Signale“. Zum Bekennermut deutsch-jüdischer Sozialisten und Sozialistinnen vor 1933.
Jost, lieber Freund, Deine Stimme wird fehlen. Du warst ein Bekenner und hattest zudem die außergewöhnliche Gabe, die bei Dir Studierenden wie auch mich seinerzeit als Promovendin zu begeistern und zu inspirieren. In den letzten Jahren sprachst du gerne auf Tagungen vor und mit Mitgliedern der Gewerkschaft ver.di und erreichtest so auch außerakademische Zuhörer- und Leserkreise. An dem besagten Juniabend 2018 vor dem Brecht-Haus erfreute es dich darum besonders, dass der Büchermann mit Rucksack ein lesender Arzt aus der Berliner Charité war.
Viktoria Hertling, Köln