Johann Dvorák: Zur Erinnerung an Jost Hermand

Gelesen habe ich ihn relativ früh; über Bertolt Brecht und Heinrich Heine. In Österreich herrschte jahrzehntelang ein Brecht-Boykott (Stücke wurden im Theater nicht gespielt); alles, was einem bei der Lektüre von Brecht-Texten unterstützte, war daher willkommen.

Was für mich Ende der 1960er Jahren (und auch später) von enormer Bedeutung gewesen ist, waren die Schriften Jost Hermands “Von deutscher Republik 1775 – 1795” [1968 erschienen]. Hier wurden völlig neue Blickweisen auf die Französische Revolution und auf die deutsche Klassik und ihre Zeitgenossen eröffnet; es wurde ein Radikalismus deutscher Aufklärung sichtbar gemacht, eine entschlossenen Widerspenstigkeit gegen Unterdrückung und Untertanengeist.

Jost Hermand wendet sich gegen die andauernde Diffamierung der Aufklärung in deutschen Landen und zeigt, wie viel es an antifeudalem und revolutionärem Gedankengut gegeben hat. Da wird Gottfried August Bürger zitiert, der sich schon 1792 auf Zeiten freute, “wenn wir zu unserem Wohl die Fürsten an dem Strick, den sie uns drehen, ein wenig – henken”. Und “der Freiherr von Knigge in Bremen, der bis zu seinem Tode (1796) aller reaktionären Gräuelpropaganda scharf entgegentrat und im Hinblick auf die sogenannten »Exzesse des Pöbels« nicht die Mörder, sondern die Ermordeten als die Schuldigen bezeichnete. … er ließ nicht davon ab, den Adel und die Fürsten als die ewig Unbelehrbaren hinzustellen”.

Für einen Österreicher wie mich (der bis dahin nur die Legenden um die Herrschaft der gütigen Maria Theresia vernommen hatte) besonders interessant war auch die Meinung, die Freiherr Friedrich von der Trenck vertrat: “Wenn ein Monarch einen ungerechten Krieg anfängt und 100 000 Mann verliert, so schweigt alles vor Bewunderung. Aber wenn bei einer Revolution, durch welche sich ein niedergedrücktes Volk wieder in Freiheit zu setzen sucht, einige Despoten, Schurken oder Volksbüttel bluten, dann schreit man über Grausamkeit und Gewalttätigkeit aus vollem Halse.”

Als ein Leitmotiv für die Arbeiten von Jost Hermand lässt sich wohl ein von ihm als Motto für die 1968 herausgegebenen und kommentierten Texte “Von deutscher Republik  1775 – 1795” verwendetes Zitat von Johann Gottfried Seume sehen:

“Wenn man mir vorwirft, daß dieses Buch zu politisch ist, so ist meine Antwort, daß ich glaube, jedes gute Buch müsse näher oder entfernter politisch sein. Ein Buch, das dieses nicht ist, ist sehr überflüssig oder gar schlecht. Wenn man das Gegenteil sagt, so hat man seine  – nicht guten Ursachen dazu. Politisch ist, was zu dem allgemeinen Wohl beiträgt oder beitragen soll: quod bonum publicum promovet. Was dieses nicht tut, ist eben nicht politisch.”

Jost Hermand hat es immer wieder zustande gebracht, ältere Kunstwerke (Texte, Bilder, Musik) in einem neuen Licht erscheinen zu lassen, sie neu zu beleben und für unsere Zeit wirksam zu machen.

Viele Jahre gehörten seine Vorträge in Berlin bei den Kultur-Tagungen der Gewerkschaft ver.di zu jenen Ereignissen, die stets aufs Neue unbekannte, originelle Sichtweisen auf künstlerische Produktionen einbrachten.

Im Institut für Wissenschaft und Kunst (IWK) in Wien hat Jost Hermand an einer Reihe von Tagungen teilgenommen und auch dabei immer wieder neue und manchmal irritierende Erkenntnisse vermittelt. (Wenn er z. B.  gegen die deutschen Freunde der Französischen Revolution gerichteten Dichtungen Goethes und Schillers vorstellte oder Zusammenhänge zwischen Karl Kraus und Bertolt Brecht aufzeigte.)

An den unten stehenden Tagungen des IWK hat er sich beteiligt.[1]

Zum Schluß komme ich noch einmal auf jene Texte von deutscher Republik zurück:
Georg Forster schrieb am 8. Dezember 1792 an seine Frau:
“Die deutsche Trägheit und Gleichgültigkeit ist zum Ausspeien. Noch regt sich nichts, und immer kommen Leute mit Vorschlägen, wie bald sich alle für die Freiheit erklären würden, wenn man ihnen nur alle abgaben erlassen wolle. Gemißhandelt, betrogen, gedrückt werden, das alles ist also nichts, was einen Menschen bewegen kann, das Joch abzuschütteln. Am Ende werden wir es ihnen doch wohl gnädigst befehlen müssen, daß sie frei werden sollen und müssen: dann gehts.”

Und Jost Hermand fügt (nachdem er Forster zitiert hat) hinzu:
“Geben wir uns Mühe, diesen Ausspruch endlich Lügen zu strafen, und seien wir zugleich stolz darauf, daß es trotz allem doch eine “deutsche Aufklärung” gegeben hat, wenn auch die Geschichte der nächsten 200 Jahre nur wenig davon beeinflußt wurde.”

Das kann als Vermächtnis und als Aufforderung an die weiter Lebenden dienen, das Werk Jost Hermand

[1] 18. – 19. November 2005:
Aufklärung, Demokratie und die radikale Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse.
Zur Erinnerung an Walter Grab (1919 – 2000)

“Eine Rotte von Narren mit roten Kappen. Goethes und Schillers Angriffe auf die deutschen Jakobiner”.

  1. Mai 2014:
    Wege in den großen Krieg, Teil 2

“Der Alldeutsche Verband und seine Agitation”.

  1. Mai 2015:
    Karl Kraus und die Musik

“Der Versuch, auf schiefer Ebene einen aufrechten Gang zu bewahren.
Der Karl Kraus-Anhänger Georg Knepler als Pianist und Musikwissenschaftler in Wien, in der Weimarer Republik, im Londoner Exil und in Ostberlin“.

  1. Juni 2016:
    Ein Wiener Potpourri des Radikalismus: Johann Nestroy, Karl Kraus, Bertolt Brecht und Hanns Eisler

“Zum Vergleichbaren des Unvergleichbaren. Karl Kraus und Bertolt Brecht”.