Im Jahr 2010 haben wir Jost Hermand zu seinem 80. Geburtstag als ehrende Anerkennung für seine unermüdliche aufklärende Tätigkeit die »Leonhard Mahlein Medaille« überreicht. Dies hat ihn als gesellschaftspolitisch denkenden und wirkenden Wissenschaftler außerordentlich erfreut. In der Laudatio konnten wir hervorheben, wie „bewundernswert immer wieder, Jost in seinen Büchern und Vorträgen diese so schwierige Aufgabe nachvollziehbar und verständlich für Leser und Zuhörer löst. Mit seinem enzyklopädischen Wissen, analytischer Schärfe und brillanter Formulierung verschafft er immer wieder neue und spannende Zugänge zu Literatur, bildender Kunst und Musik denn, um mit seinen Worten zu schließen: ‚Genau genommen, sind auch die größten Kunstwerke nur kleine Pflastersteine auf den rätselhaften Wegen der Humanität, deren Verlauf oft so windungsreich ist, daß man fast an ihnen verzweifeln könnte. Es würde sich daher empfehlen, sie als Fragmente einer unvollendeten Entelechie zu bezeichnen, deren nobelste Aufgabe darin besteht, uns einen gewissen ‚Vorschein’ auf menschenwürdigere Verhältnisse zu geben und uns damit in der Hoffnung auf eine allmählich ansteigende Entwicklung zu bestärken.’“
In der nachstehenden Laudatio werden wichtige Stationen seines Lebens und seiner Arbeit gewürdigt.
Zur Ehrung von Jost Hermand mit der Verleihung der “Leonhard-Mahlein-Medaille
„Aufklärung, Humanität, soziale Gleichstellung und Völkerfreundschaft“.
Lieber Jost, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Gäste,
es ist eine große Freude und Ehre für mich, dass ich im Namen der Vorbereitungsgruppe unserer Tagungen hier in der ver.di Bildungs- und Begegnungsstätte dir zu Ehren aus Anlass deines 80. Geburtstages eine kleine Laudatio halten kann. Zum 5. Mal immerhin haben wir uns hier bei Clara Sahlberg am Wannsee mit dir versammelt. Aber auch in der Bundesverwaltung von ver.di konnten wir dich schon zu guten und interessanten Veranstaltungen begrüßen.
Kritisch und begeistert, begeisternd und konstruktiv, so haben wir dich, lieber Jost während dieser ver.di-Veranstaltungen und bei anderen wissenschaftlichen Tagungen kennengelernt, und so schätzen wir dich als Freund. Es ist uns eine große Freude, dich auch heute wieder in unserer Mitte zu haben. In vielen auch persönlichen Gesprächen am Rande der Tagungen konnten wir über dich und dein interessantes Leben und Lehren einiges erfahren.
Zur Erinnerung und für jene, die es nicht wissen, will ich in gebotener Kürze einige Schlaglichter auf Person und Werk werfen. Wer ist dieser Jost Hermand?
Er wirkt zur Zeit als „William F.(reeman) Vilas Emeritus“ für ‚German Studies’ an der ‚University of Wisconsin’ in Madison, USA. Außerdem als Honorarprofessor an der Humboldt-Universität hier in Berlin. Diesen Titulaturen ist nicht ohne weiteres zu entnehmen, ein wie außergewöhnlich produktiver Schriftsteller Jost Hermand zugleich ist. Sein umfangreiches Œuvre umfaßt circa 150 Bücher und außerdem eine ebenfalls dreistellige Zahl von Untersuchungen und Essays.
Mit alledem erweist er sich als dreierlei:
- als universaler Gelehrter,
- als Denker auf ästhetischem und kulturpolitischem Gebiet und
- als wegweisender Reformer in denselben Bereichen,
mit nicht seltenem Eingreifen ins Sozialpolitische.
Seine ausgedehnte, tief lotende Wirksamkeit steht im Einklang mit der Einsicht, die er einmal in seiner Autobiographie formulierte:
„daß der Gegensatz zwischen einem die Absatzquoten der großen Konzerne in die Höhe treibenden ‚pluralistischen’ Egoismus und
einem gesamtgesellschaftlichen Verantwortungsbewußtsein in politischer, sozialer, ökologischer und kultureller Hinsicht auch heute noch unvermindert weiterbesteht“ (2001).
Unschwer ist zu beobachten, welche Wahl er getroffen hat.
Er wurde am 11. April 1930 in Kassel geboren, wuchs in Berlin auf, überstand als „Pimpf in Polen“ die Qual der NS-„Kinderland-verschickung“, lebte nach Kriegsende in der Nähe von Kassel und stellte sich im Abitur u. a. der – nicht eben schülergemäßen – Aufgabe, Hölderlins und Shelleys romantische Lyrik miteinander zu vergleichen. Er verschweigt nicht, daß er selbst früh dichterische Ambitionen hegte, vor allem in der Poesie und im Roman.
Sein Studium Anfang der 50er Jahre brachte ihn in guten Kontakt zu dem Marburger Kunsthistoriker Richard Hamann (1879-1961), der Student an der Berliner Universität bei Wilhelm Dilthey gewesen war und vor dem 1. Weltkrieg in Berliner Arbeiterbildungsvereinen gleichzeitig mit Franz Mehring und Rosa Luxemburg unterrichtet hatte. Hamann beauftragte Hermand mit der Anfertigung eines Registers für ein kunstgeschichtliches Werk, wodurch dieser genötigt war, für ein Vierteljahr in Ostberlin zu forschen. Nach der Emeritierung nahm Hamann die Berufung auf einen Lehrstuhl an der Humboldt-Universität an. Jost, sein Schüler, begleitete ihn nach Ostberlin.
Seine Aufgabe war die Mitarbeit an einer fünfbändigen Deutschen Kulturgeschichte von der Gründerzeit bis zum Expressionismus, die im Auftrag des Ostberliner Akademie-Verlags entstand. Sie erschien während der gut anderthalb Jahrzehnte von 1959 bis 1975. Eine staunenerregende historiographische Leistung – eine Reihe von Werken, von der Hermand einmal sagte, sie sei damals „zum Leitstern seiner gesamten Existenz“ geworden. Autor des weitaus überwiegenden Teils war Jost selber; die meisten Bände hat er geschrieben.
Hamann verlor sein Amt in Ostberlin bereits Ende 1957 wieder, nicht zuletzt aus politischen Gründen (darunter: seine Ablehnung des Personenkults). Hermand wurde zum selben Zeitpunkt aus der DDR ausgewiesen. In der Bundesrepublik gelang es ihm danach nicht, eine angemessene akademische Position zu finden, weil ihn sein hier als „Verrat“ bewerteter Abstecher in die DDR stigmatisierte. Daher entschied er sich im Sommer 1958 für eine Assistenzprofessur an der Universität von Wisconsin in Madison. Seither verstand er sich als ein in den USA lebender westdeutscher Staatsbürger. Sein Doktorvater, Friedrich Sengle, nannte es: „Exil“. Hermand selbst nennt es „unfreiwillige Auswanderung“ und sprach von einer „bizarren Situation“: „als westdeutscher Staatsbürger, der in den Vereinigten Staaten von Amerika als ‚Alien resident’ Bücher für den Ostberliner Akademie-Verlag schrieb“.
Die kurzen Aufenthalte in der DDR zeitigten seither Wirkungen auf Hermand, die er nicht bewußt erstrebt hatte: Die sozialkritische Literatur, die er hier erwarb, so resümiert er, führte ihn von einem „geradezu anämischen Ästhetizismus und einer als existentialistisch verbrämten Egozentrik“ zu einem völlig veränderten „Wirklichkeitsverständnis“. Mit zwei Folgen:
„erstens entwickelte ich dadurch ein soziales Gewissen … und
zweitens geriet ich im Zuge dieser ideologischen und ästhetischen Umorientierung in den Sog einer auf gesellschaftliche Relevanz pochenden kulturwissenschaftlichen Betrachtungsweise“. Dadurch erhielten sowohl seine Forschung als auch seine Lehre, ja sein gesamtes Leben eine wie er es einmal ausdrückte „innerlich befestigende Zielrichtung“.
Aus der Wanderschaft zwischen den zwei Welten oder – rechnet man Amerika hinzu – sogar drei, resultiert im Lebenswerk Hermands eine bei Germanisten sonst eher seltene Weite des Blicks. Er überschaut die Künste in Deutschland, in den USA und anderen Ländern, zum Beispiel England, zieht die Theorie (oder Philosophie, Ästhetik) verschiedener Breiten und Zeiten heran und verfügt so über fachwissenschaftliche Kenntnisse und Forschungsergebnisse, um sich in diversen Disziplinen auszuzeichnen.
Er macht kein Hehl aus seinen besonderen Vorlieben für deutlich links positionierte Autoren. An der Spitze Heinrich Heine im 19. und Bertolt Brecht im 20. Jahrhundert. Seine Publikationen über Heine sind zahlreich und gewichtig, auch im Wortsinn selbst wenn ich an den von ihm verantworteten Band 6 der berühmten Düsseldorfer Heine-Ausgabe mit den Reisebildern denke. Zu den Theoretikern, Philosophen, Literaturkritikern und Wissenschaftlern, die ihn beeinflussten und stimulierten, zählt an vorderer Stelle der Historiker, Philosoph und Theoretiker der Arbeiterbewegung, Franz Mehring, der 1896 mit seiner „Lessing-Legende“ einen „Frontalangriff gegen die gesamte hohenzollernhörige Germanistik“ führte. Kein Wunder, daß sich auch im jüngsten Buch über Heine von 2007 (Untertitel: Kritisch.Solidarisch. Umstritten) ebenfalls ein Kapitel über Mehrings Heine-Bild findet. Hermand berief sich auch auf anscheinend ferner stehende Forscher, bei denen er jedoch große Kraft des Entwerfens und historische Kombinatorik vorfand, so auf den liberalen Theologen und Kirchengeschichtsschreiber Ernst Troeltsch.
Nicht verwunderlich, dass Diffamierungen seiner Person und Angriffe auf Hermand nicht ausblieben, so von Seiten eines durch die Totalitarismus-Theorie des Kalten Kriegs geprägten Fachkollegen, Oskar Seidlin. Dieser warf ihm vor, wegen seiner Brecht-Interpretationen ein ‚linker Faschist’ zu sein, dem endlich das Handwerk gelegt werden müsse.
Streitbar wie er ist, scheute Jost weder die Veröffentlichung von Polemik gegen ihm überschätzt erscheinende Größen der Vergangenheit und der Zeitgeschichte noch die daraus entstehenden heftigen Kontroversen. In seinem mit Reinhold Grimm verfassten Buch „Die Klassik-Legende“ (1971) versuchten beide als „linksliberale Literaturwissenschaftler“, „frischen Wind“ in die US-amerikanische Literaturgeschichtsforschung zu bringen. Dabei trafen die Verfasser allerdings auch außerhalb der USA auf Widerstand, insbesondere in der DDR, von wo aus sie gewarnt wurden, daß im sozialistischen Weimar „selbst die Kritik eines streitbaren Humanisten wie Heine an Goethe“ nicht zu dulden sei. Andererseits erzielte Hermand Sympathien mit der Forderung, durch „vertieftere Kenntnisnahme der jakobinischen Tendenzen des 18. Jahrhunderts … eine dialektisierende Optik auf die Weimarer Klassik“ zu entwickeln.
Keinen geringen Unmut zog er sich von anderer Seite zu, als er Theodor W. Adorno kritisierte, einen Philosophen, der seine Gedankenwelt „fast ausschließlich … auf die angeblich provozierende Negativität einiger Kunstwerke Schönbergs, Kandinskys, Becketts oder Kafkas“ bauen wollte. Jost Hermand wagte es, mitten im Kalten Krieg, im Jahre 1960 im Schauspielkreis seiner Universität in Madison Brechts „Mutter Courage und ihre Kinder“ zu inszenieren.
Als im Gefolge der Studentenbewegung und der APO in Westdeutschland und um die Zeit der KSZE-Konferenz und -Beschlüsse das politische Klima in der Welt sich spürbar milderte, ergab es sich, daß Hermand zu Gastsemestern nach Berlin und Westdeutschland eingeladen wurde (Bremen, Gießen, Marburg). Am Ende dieser Gastsemesterphase konnte er sich der Erkenntnis nicht verschließen, „daß sich eine systemkritische Tendenz im Sinne der Achtundsechziger Bewegung nur noch in einer Art Nischen- oder Zitadellenkultur aufrecht erhalten lasse, da sich das kulturelle Interesse der meisten Geisteswissenschaftler und -wissenschaftlerinnen immer stärker jenen Phänomenen zuwandte, für die sich kurze Zeit später der Begriff ‚Postmoderne’ einbürgerte“. Das war, so Jost, eine Bündelung von Strömungen, die alle „bisherigen gesamtgesellschaftlichen Hoffnungen und Utopien grundsätzlich in Frage stellten“ und sich kritiklos der „Ideologie der Ideologielosigkeit“ auslieferten. Etwa zum selben Zeitpunkt geschah es, daß ein Hans Magnus Enzensberger über Hermand herfiel, ihn wegen seines linksliberalen Engagements angriff und in eigener Sache reumütig erklärte, der katastrophale Fehler seines Lebens sei es gewesen, mit der 68er Bewegung marschiert zu sein. Es ist Hermands Überzeugung, daß sich nach dem Wegfall des ‚Ostblocks’ in Europa nichts Wesentliches „an den ideologischen Grundkonstellationen des Kalten Krieges“ geändert habe.
Wie nicht anders zu erwarten, warf sich Jost alsbald streitbar „den herrschenden Tendenzen ins Postmodernistische und Subjektiv-Beliebige“ entgegen. Was änderte sich für ihn selber dadurch? „Statt wie bisher um sechs Uhr morgens stand ich jetzt schon um vier oder fünf Uhr auf, um mehr Zeit für meine mannigfachen Vortrags-, Seminar- und Buchprojekte zu haben.“ Dies war nicht, wie ihm einige weniger wohlwollende Kollegen nachsagten, die Sucht nach Vermehrung seiner ‚Erfolgserlebnisse’ sondern vielmehr „das Bemühen, inmitten der allgemeinen Zersplitterung und zunehmenden Desinteressiertheit an weltanschaulichen Fragestellungen einen Sinn für über das eigene Ich hinausgehende Ziele sozialer, kulturbetonter und ökologischer Art wachzuhalten“.
Zur schon benannten Weite seines Blicks gehört im Forscher-, Lehrer- und Schriftstellerleben Hermands die Ablehnung einer Beschränkung des Interesses allein auf die Hochliteratur oder die Befassung ausschließlich mit den `hohen Künsten´. Auch die Produktion der Massenmedien muß Gegenstand der Geisteswissenschaft sein, so seine Forderung. „Was könnte nicht alles zur Literatur gehören, wenn wir endlich mit jenem Ästhetizismus brechen würden, der nur das Epische, Lyrische und Dramatische als ‚literaturhaft’ anerkennt? Reiseberichte, Memoiren, Tagebücher, Biographien, Aphorismen, Briefe, Chansons, Essays, ja überhaupt jede Sorte von Zweckliteratur würde auf diese Weise aus ihrer babylonischen Verbannung erlöst und zu ebenso wichtigen Dokumenten des menschlichen Geistes erhoben wie eine epigonenhafte Ode oder ein halbgelungener Roman.“
1996 publizierte er sein Werk „Angewandte Literatur. Politische Strategien in den Massenmedien“, eine Streitschrift gegen die Bewußtseinstrivialisierung, -mediatisierung, -nivellierung. Seine Überlegungen münden in die Aufforderung: „All das, was da nivelliert, standardisiert, kooptiert und kommerzialisiert werden soll, muß von denen, die noch ein kritisch gereiztes Bewußtsein dafür haben, daß nicht die höhere Kunst, sondern der falsche Gebrauch, der von ihr gemacht wird, problematisch geworden ist, weiterhin energisch verteidigt werden.“ Und unter der Voraussetzung, daß „U“ für Unterhaltungskunst steht, „E“ für die ernste Kunst, zog er die Schlussfolgerung: „Die einzig sinnvolle Alternative zu der verhängnisvollen Spaltung in das große U und das kleine E wäre eine neue Allgemein-Kunst, eine A-Kunst, welche – ganz gleich in welchem Genre oder Medium – die wirklichen Interessen der Mehrheit der Bevölkerung ins Auge faßt. Im besten Sinne ‚progressiv’ wäre demnach momentan nur eine Zweifronten-Strategie, die das fortschrittliche Erbe der älteren E-Kunst mit den besten Populartraditionen zu verbinden sucht.“
Einbezogen werden sollten fortan, so Hermand, die „von den staatlich bestallten Geisteswissenschaftlern, die sich einer höheren Bildungsmission verpflichtet sahen, bewußt“ ausgeklammerten Gebiete der Dichtung, etwa „die Erforschung des Erotischen und Sexuellen in der Kunst“. (Die erotische Motivik ist in Wahrheit nicht mehr und nicht weniger als der Kern aller Kunst, die Hauptader in ihr.) Mit Goethe zu sprechen: „Heute ist mir alles herrlich; wenn’s nur bliebe!
Ich sehe heut durchs Augenglas der Liebe.“
Auch auf diesem Terrain diagnostiziert Hermand in seinem Buch „Formen des Eros in der Kunst“ (2000) eine krasse Fehlentwicklung: „Überall wird bis auf den heutigen Tag das Ethische weitgehend durch sinnliche Wahrnehmungsformen ersetzt, die zwar eine größere Freizügigkeit vorspiegeln, aber eine Freizügigkeit, die letztlich – bewußt oder unbewußt – der steigenden Umsatzrate dient und keinen auf fortschrittliche Werte drängenden Charakter mehr hat.“
Wie Hermands sämtliche Aufsätze und Bücher bezeugen, versuchte er seine eigenen Forderungen nicht nur bei Erforschung der Dichtungsgeschichte anzuwenden, sondern ebenso auf die Geschichte der bildenden Künste und der Musik. So entstanden seine Werke und Aufsätze über Beethoven, über die Geschichte der Oper, über die Musik der Französischen Revolution u. v. a. m..
Um die Vielfalt und Weite der Interessengebiete Hermands stenogrammartig anzudeuten, möchte ich hier nur einige wenige Titel seiner Veröffentlichungen streifen.
Eine frühe Haupttätigkeit bestand darin, ‚vergessene’, mißachtete oder verachtete Dichtungsperioden und literarische Materialien wieder ins helle Licht zu rücken: „Von deutscher Republik. 1775-1795. Texte radikaler Demokraten“ (zuerst 1968); 2 gewichtige Reclambände zur Literaturgeschichte der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: „Das junge Deutschland“ (zuerst 1966) und „Der deutsche Vormärz“ (1967).
Schriften über einzelne Autoren: Thomas Mann, Heiner Müller (beide 1999). Eine stattliche Anthologie: „Die deutschen Dichterbünde. Von den Meistersingern bis zum PEN-Club“ (1998). In dem, so darf ich ergänzend hinzufügen, auch der Verband deutscher Schriftsteller (VS) nicht fehlte.
Zu Hermands auf die gesellschafts- ebenso wie kulturpolitische Problematik zielenden Veröffentlichungen gehört z. B. die Anthologie „Noch ist Deutschland nicht verloren. Ökologische Wunsch- und Warnschriften seit dem späten 18. Jahrhundert“ (2006). Und das stark von eigenen Überlegungen geprägte Werk „Grüne Utopien in Deutschland. Zur Geschichte des ökologischen Bewußtseins“ (1991). In dem Buch „Die Utopie des Fortschritts. 12 Versuche“ (2007) steuert er zwischen der Skylla Pragmatismus und der Charybdis Utopismus vermittelnd mit der „im 18. Jahrhundert begonnene Entwicklung in Richtung Aufklärung, Humanität, soziale Gleichstellung und Völkerfreundschaft.“
An grundlegenden Werken Hermands zur Kunsttheorie, zur Philosophie und Ästhetik seien abschließend noch zwei erwähnt.
2004 veröffentlichte er: „Nach der Postmoderne. Ästhetik heute“. Resümierend fordert er, dass „alle Überlegungen im Hinblick auf eine alternative Ästhetik stets im Zeichen einer Hoffnung auf andere, bessere Gesellschaftsformationen stehen, in der nicht mehr die Beschleunigung der industriellen Zuwachsrate und die damit verbundenen materiellen Gewinnchancen die einzige ausschlaggebenden Faktoren innerhalb aller möglichen Fortschrittsvorstellungen wären.“ Dann müssten sich „alle bedeutsamen Kunstwerke“ dadurch „auszeichnen, Wegweiser oder zumindest Merkpegel von Haltungen zu sein, in denen sich die nichtrepressiven oder gar utopisch ausgerichteten Tendenzen innerhalb einer bestimmten Epoche widerspiegeln“.
Als frühes Hauptwerk Hermands ließe sich vielleicht die literatur-wissenschaftlich-kunsttheoretische Schrift „Synthetisches Interpretieren“ klassifizieren, die der Verfasser als „eine Ästhetik für Fortgeschrittene“ bezeichnet. Nach Analyse und Kritik des so genannten „Methodenpluralismus“ seit 1900 und der vor 1968 auch in der Bundesrepublik modische Richtung der so genannten „werkimmanenten“ Literaturuntersuchung im 1. Teil des Buches fordert Hermand im 2. Teil die Wiederbelebung eines Universalismus in der Kunstbetrachtung. Er besteht darauf, das wirkliche Faszinosum der Kunst „in der inneren Fülle ihrer inhaltlichen Bezüge und Evokationen“ zu suchen sei. Zu bekämpfen sei in erster Linie die „Antigeschichtlichkeit“ im Spektrum geisteswissenschaftlicher Methoden. Ein starker Akzent der Forschung müsse „auf dem Gebiet der epochengeschichtlichen Periodisierung“ liegen. Als junger Student der Germanistik war das “Synthetische Interpretieren“ für mich und meine Kommilitonen ein wirklicher Fortschritt und Erkenntnisgewinn. Damals war Jost Hermand für mich nur der Name eines Autors. Ich hätte mir nicht träumen lassen, dem Professor aus den USA einmal persönlich zu begegnen. Ehrlich gesagt hätte ich damals nicht präzise formulieren können, was die Quintessenz des Buches ist. Alles in allem empfiehlt Hermand eine Methode der Kunstanalyse, „die man mit dem Paradoxon einer ‚materialistischen Geistesgeschichte’ umschreiben könnte“.
Bewundernswert immer wieder, wie Jost in seinen Büchern und Vorträgen diese so schwierige Aufgabe nachvollziehbar und verständlich für Leser und Zuhörer löst. Mit seinem enzyklopädischen Wissen, analytischer Schärfe und brillanter Formulierung verschafft er immer wieder neue und spannende Zugänge zu Literatur und Kunst denn um mit seinen Worten zu schließen: „Genau genommen, sind auch die größten Kunstwerke nur kleine Pflastersteine auf den rätselhaften Wegen der Humanität, deren Verlauf oft so windungsreich ist, daß man fast an ihnen verzweifeln könnte. Es würde sich daher empfehlen, sie als Fragmente einer unvollendeten Entelechie [Entwicklungstendenz und –kraft] zu bezeichnen, deren nobelste Aufgabe darin besteht, uns einen gewissen ‚Vorschein’ auf menschenwürdigere Verhältnisse zu geben und uns damit in der Hoffnung auf eine allmählich ansteigende Entwicklung zu bestärken.“
Diese Laudatio, die Heinrich Bleicher-Nagelsmann im Namen der Vorbereitungsgruppe der Tagung »Literatur und Politik« im Jahr 2010 gehalten hat, beruht auf einem Text, den im wesentlichen Wolfgang Beutin, ebenfalls Mitglied der Vorbereitungsgruppe, geschrieben hat.