Oft und gern hat Jost Hermand über die Begegnung von Hans Mayer und George Mosse erzählt, anlässlich des Wisconsin Workshops „Exil und Innere Emigration“ in Madison, im Oktober 1971. Zwei deutsche Juden und aufsässige Bildungsbürger, Homosexuelle noch dazu, die sich in der fremden Umgebung sofort und als solche erkannten, freudig erregt über ihr Ansehen und Anderssein, wie ihr Gastgeber Jost Hermand bemerkte. Von 9 Uhr früh bis nachmittags um 5 habe man beisammen gesessen und nicht ohne eine gewisse Eitelkeit sich gegenseitig von geschichts-trächtigen persönlichen Erlebnissen erzählt. Dem staunenden Hans Mayer von seinem Besuch bei Albert Speer in Heidelberg zu berichten, der ihm die Zeichnungen Adolf Hitlers zeigte, die dieser ihm überlassen hatte. „‚Sie waren bei Speer?‘ sagte darauf Mayer mit gespielter Empörung, ‚das kann ich Ihnen nicht verzeihen. Ich glaube, es wäre besser, wenn ich jetzt gehen würde‘, stand auf und setzte sich wieder. ‚Ich bin doch Historiker‘, erwiderte Mosse ….“[1]
Jost Hermand war als Mittelsmann der Dritte im Bunde dieser sich ihres Wissens und ihrer Geltung sicheren Kollegen, selbstgewiss auch im Widerspruch: im Habitus des Außenseiters und Provokateurs, für den Jost im Nachhinein den hintersinnigen Namen des “Partisanenprofessors“ erfand. Es war ohnehin eine andauernde Gastfreundschaft, die dort, in der fremden Heimat, den universalen Faschismusforscher George Mosse und Jost Hermand, den Universalhistoriker und ‚Kunstrichter‘ der deutschen Kultur von der Volksgemeinschaft bis zur selbstvergessenen Konsumgesellschaft, miteinander verband. Jost war kein Grenzgänger, kein Wanderer zwischen den Welten, politisch und persönlich gesehen. Im Gegenteil. In seinem Häuschen in Madison ließ er anfangs einfach die deutsche Zeit stehen, vor Ort um vier Uhr früh am Schreibtisch, schrieb er, fern von den alltäglichen Kontroversen und Konflikten, an seinen Büchern der unerledigten und katastrophischen deutschen Kulturgeschichte: von „Mainz nach Weimar“, von Heine bis Brecht, vom Grauen der Naziherrschaft, die er als Hitler-Junge der Kinderlandverschickung im Weltkrieg am eigenen Leib erfahrenen hatte. »Als Pimpf in Polen« bleibt sein einziges ganz persönliches Buch.
Ganz persönliche Untertöne begleiteten seine zeitweilige Rückkehr nach Berlin, seine Herbstsemester als ständiger Gastprofessor an der Humboldt-Universität seit 2003, wo er half das Forschungs- und Veranstaltungsprojekt der »Mosse-Lectures«, im Andenken an seinen jüdischen und ebenso deutschen Weggefährten und Freund, auf den Weg zu bringen. Der manchmal sich bemerkbar machende zwiespältige Gedanke an eine tatsächliche Heimkehr im Alter wurde so, im Berliner Dabeisein an der Seite seiner lieben Frau, zufrieden gestellt.
Und wie befriedigend hat er und haben seine Studenten die großen Epochenvorlesungen zur deutschen Kunst- und Kulturgeschichte im großen Hörsaal erlebt. Und wie energisch hat er sich gegen jede aufkommende Resignation zur Wehr gesetzt, durchs Schreiben, wie sonst, Bücher, für die er sich, nach seiner Überzeugung, selber den Auftrag erteilte, verantwortlich für die Leser, die er zu überzeugen hoffte. In meinen zwei Regalen mit Büchern von Jost Hermand steht als letztes und ganz links »Oasen der Utopie. Schriften deutscher Vordenker und Vordenkerinnen«.
Klaus R. Scherpe, Berlin
[1] Jost Hermand: Freunde, Promis, Kontrahenten. Politbiographische Momentaufnahmen. Köln, Weimar, Wien: Böhlau 2013, S. 73.