Zum ersten Mal begegnete ich Jost Hermand im Mai 2014 bei einer Tagung im ver.di Bildungs- und Begegnungszentrum Clara Sahlberg in Berlin. Das Tagungsthema »Der Krieg in Kunst, Literatur und Wissenschaft: „Das Denken der Zukunft muss Kriege unmöglich machen.“ (Albert Einstein)«. Ich erinnere mich gut an seinen Vortrag „Imperialistische Stimmungsmache vor 1914“, in dem er sich ausführlich mit den längerfristigen und unmittelbaren Kriegsursachen beschäftigte und uns erklärte, dass Deutschland nicht allein am 1. Weltkrieg schuldig war.
Im darauffolgenden Jahr hat sich Jost Hermand von Madison wieder auf den Weg gemacht und war erneut – wie schon seit 9 Jahren – bei der Literaturtagung am Wannsee mit dabei: Diesmal ging es um »Hoffnung, Sehnsüchte und politische Vorstellungen zum Mai 1945 – „Endlich unserer Kraft zu trauen und ein schönes Leben aufzubauen“«. Zu dieser Tagung war auch Alfred Grosser aus Paris gekommen, er sprach zu »Deutschland nach 1945 – Hoffnungen, Sehnsüchte und politische Vorstellungen«. Jost Hermand berichtete über den „,Hochkulturhunger‘ nach 1945. Erlebtes, aber spät Begriffenes.“
Jedes Jahr folgten weitere spannende Vorträge. 2019 fand die letzte Tagung mit dem Thema »Widerstand ist nicht als Hoffnung« statt. Jost Hermands Vortrags lautetet »Doch. Dennoch. Trotzalledem. Die Relevanz der Ästhetik des Widerstands von Peter Weiss für die heutige Situation«.
Als Teilnehmer der Literaturtagungen am Wannsee habe ich mit Beginn meiner ersten Tagung 2014 nach und nach die anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmer näher kennengelernt. Im ersten Jahr und auch im drauffolgenden ergaben sich am Rande der Tagung nur kurze Gespräche mit Jost Hermand. Aber schon im darauffolgenden Jahr war uns beiden die Wiedersehensfreude sicher. Sie wuchs stets und beiderseits bis zu unserem letzten Treffen 2019.
Lange haben wir mit mehreren Teilnehmerinnen und Teilnehmern nach dem Abendessen zusammengesessen. Jost erzählte von seinen neuesten Veröffentlichungen; gerade war sein Buch über Beethoven in einer neuen Auflage erschienen. Er fragte nach unseren Interessen, wir verglichen unsere literarisch-politischen Vorlieben und setzten mit der Diskussion das Tagungsthema fort. Wir alle, die mit ihm an diesen Abenden zusammensaßen, profitierten von seinem so weitreichenden literarischen, kulturellen und politischen Wissen. Er hat uns auch erzählt, wie er in die USA gekommen war und hat, Heinrich Bleicher, dem Vorsitzenden der Hans-Mayer-Gesellschaft und mir, von seinen Begegnungen mit Hans Mayer berichtet, den er zuerst 1973 und dann in folgenden Jahren an seiner Universität zu Gastvorlesungen empfangen hat.
Bei diesen langen Abendgesprächen entstand die Idee, dass wir beide Jost Hermand in Madison besuchen werden. Das sollte auch ein wenig unser Dank für die Strapazen sein, die er jedes Jahr immer wieder auf sich nahm, um bei unserer Literaturtagung dabei zu sein. ‚Im kommenden Frühjahr‘ sagten wir und ich erinnere mich noch gut daran, wie Jost unseren Vorschlag ernstnahm und sich ganz offenkundig darüber freute. Doch dann begann 2020 die Corona-Pandemie und es wurde erstmal nichts aus unseren Reiseplänen. Man sollte Projekte und gute Ideen nicht aufschieben. Nun ist es zu spät, aber die guten Erinnerungen bleiben.
Heiner Wittmann