Thomas Metscher: Erinnerung und Dank an Jost Hermand.

Ich habe Jost des Näheren kennengelernt, als ich, auf seine Initiative, in Madison zu einer Faust-Tagung geladen war, auf der ich, wie dort üblich, als „foreign guest“ das abschließende Referat zu halten hatte. Es trug den Titel „Faust’s End“ und wurde dann auch mit zusammen den anderen Beiträgen der Tagung als Buchpublikation veröffentlicht. Während meines Aufenthalts in Madison, der sich, meiner Erinnerung nach, über mehrere Wochen erstreckte, wohnte ich in Josts Haus in Madison – ein Haus gefüllt mit Musik. Ich muss gestehen, dass meine Musikkenntnisse zu diesem Zeitpunkt marginal waren, diese Musikerfahrung im Hause Josts mir eine neue ästhetische Dimension eröffnete. Ihr Höhepunkt war eine Sitzung mit Schostakowitsch. Sie ging aus einem Gespräch mit Jost hervor, wir sprachen über Adorno und dessen frühe, doch sehr folgen- und einflussreiche Schrift zur Neuen Musik. Kern des Gesprächs war Adornos Haltung zu Schönberg, den er für den bedeutendsten Komponisten der Moderne hielt. Ich fragte Jost nach seiner Meinung, und dieser sagte mir, dass er gegen Schönbergs Weise der musikalischen Komposition, die in der ’neuen‘ Zwölfton-Reihe‘ gipfelt, einige Bedenken hätte. ‚Wenn es überhaupt einen Komponisten gibt, den man als den Ersten der Moderne nennen soll, so wäre dies Schostakowitsch‘, sagte er, und er fragte mich, was ich wohl von Schostakowitsch kennen würde. Meine offene und schlichte, doch ehrliche Antwort lautete: ‚Nichts‘ – und dabei wollte es Jost nicht belassen. Er spielte mir dann auf schräger Platte das Achte Streichquartett vor, in Dresden verfasst, gewidmet ‚den Opfern von Krieg und Faschismus‘. Für mich wurde dies zum musikalischen Durchbruch, und für lange Zeit war ein Tag ohne Schostakowitsch ein verlorener. Ich verfasste auch ein Essay über ihn, Jost Hermand gewidmet, bat Jost um sein Urteil. Er schrieb mir: ‚Ich kann jeden Satz unterstreichen‘, ein Urteil, das mir mehr wert war als jedes andere in meiner nicht kurzen akademischen Laufbahn. Auch eine Veranstaltung der Bremer MASCH wurde daraus, die ich nie vergesse. Jost sprach über den kommunistisch-sowjetischen Kontext des Werks von Schostakowitsch, ich über das Achte Streichquartett und die Babyn-Jar-Symphonie – mit Texten von Jewtuschenko, das Babyn-Jahr-Gedicht, das Celan in Deutsche übersetzt hat.

Auf diese Weise war Jost Hermand prägend in meinem Leben, und so werde ich ihn in Erinnerung behalten.
Thomas Metscher
Prof. em. Dr. phil. Literaturwissenschaft und Ästhetik